von Eckhard Lotze
Der Pflegeberuf (egal, ob Gesundheits- und Krankenpflege oder Altenpflege) ist ein Heilberuf nach § 74 GG. Er befasst sich – wie andere Heilberufe auch – mit der Wiedererlangung, Verbesserung, Erhaltung und Förderung der physischen und psychischen Gesundheit (vgl. § 3 Krankenpflegegesetz 2004). Der sog. Pflegeprozess bildet die Handlungsgrundlage für professionell Pflegende. Er rahmt das Beziehungsgeschehen, das den Kern jeder guten Pflege ausmacht. Professionell Pflegende erbringen einen unschätzbaren Anteil an einem humanen Versorgungsgeschehen im Gesundheitswesen, besitzen aber kein berufsständisches Sprachrohr, das in Augenhöhe mit anderen Interessenvertretern (z.B. den unten genannten Kammern, Kranken- und Pflegekassen, „Pflegewirtschaftsunternehmen“ inkl. der Wohlfahrtsverbände, etc.) die Belange der Pflege umfassend und unabhängig vertreten könnte.
Das deutsche Gesundheitswesen aber ist stark von der Selbstverwaltung durch die verschiedenen Interessengruppen geprägt (Selbstverwaltungsprinzip). Diese ist hierzulande vor allem geprägt von Berufskammern der klassischen Heilberufe. Diese Berufe regeln und vertreten ihre beruflichen Angelegenheiten selbständig als Körperschaften öffentlichen Rechts. Der Staat hält sich bis auf eine formale Rechtsaufsicht raus, weil er selbst keine ausreichende Kapazität/Fachexpertise besitzt und auf die (auch ethische!) Selbstregulierung dieser Berufe vertraut. Auftrag der Kammern ist ausdrücklich auch die berufliche Interessenvertretung gegenüber Politik und anderen „Playern“ im Gesundheitswesen.
Unvoreingenommene Experten bescheinigen der professionellen Pflege in Deutschland einen immensen Nachholbedarf an selbstverantwortlicher Integration in das Versorgungsgeschehen. Der Sachverständigenrat für die Entwicklung im Gesundheitswesen (SVR) hat seit 2007 mehrfach die Arztlastigkeit unseres Gesundheitswesens als kontraproduktiv und ineffizient herausgestellt und eine Aufwertung des Pflegeberufs angemahnt. Nicht umsonst ist eine neue gemeinsame Pflegeausbildung in Planung, die unter anderem die Steuerung des Pflege-Versorgungsgeschehens durch Pflegefachkräfte betont. Nicht umsonst wird parteiübergreifend anerkannt, dass nur ein umfassend erneuerter Pflegebedürftigkeitsbegriff auf pflegewissenschaftlicher Grundlage die offenkundige Misere der deutschen Pflege beheben kann. Nicht umsonst wird – leider nur in politischen Sonntagsreden – mehr Wertschätzung, leistungsgerechte Entlohnung und eine Attraktivitätssteigerung für den Pflegeberuf verlangt. Realität: Deutschland ist (mit Luxemburg) das einzige EU-Land, das KEIN Studium für Pflegefachkräfte voraussetzt. Realität: Eingangsvoraussetzung zum Pflegeberuf wurde auf Hauptschulniveau gesenkt (ohne erhoffte Auswirkung auf Bewerberzahlen). So steigert man jedenfalls keine Wertschätzung, keine Attraktivität oder gar Entlohnung.
Irreführend ist, dass aber selbst in der Pflege schon heute von der „Selbstverwaltung“ gesprochen wird. Das trifft natürlich nicht zu. Es ist nämlich ausdrücklich keine berufliche Vertretung der Pflege gemeint, sondern, dass Kranken- und Pflegekassen sowie Sozialhilfeträger sich mit Leistungserbringern (natürlich reine Arbeitgebersicht!) nicht gerade transparent auf Verfahren, Inhalte, Entlohnung, etc. von Pflege einigen. Leider fallen zudem Gewerkschaft (ver.di) als auch die Arbeitnehmerkammer (als Bremer Besonderheit) mangels Pflegeexpertise, fehlendem Mandat aus der Pflege und zudem als reine Arbeitnehmervertreter für eine angemessen umfassende Repräsentanz des Pflegeberufs aus. Sie haben außerdem andere Aufgaben, die sie – für die Pflege leider kaum erkennbar – wahrnehmen.
Es gibt Stimmen, dass eine „Kammer“ ein Relikt aus dem Ständestaat sei, das ist ja so falsch nicht. Allerdings leben wir allerorten recht unhinterfragt mit Kammern, auch jenseits des Gesundheitswesens. Ein Pflegeexperte hat einmal gesagt: „Sobald die erste Ärztekammer abgeschafft wird, verzichten wir Pflegenden gerne auf die Verkammerung des Pflegeberufs.“ Ich möchte keine Pflegekammer um der Kammer willen, aber ich fordere eine umfassende, eigenverantwortliche Berufsvertretung der mindestens 12.000 Bremer Pflegefachkräfte.1
Pflegekammern sind übrigens beschlossene Sache in Rheinland-Pfalz und in Schleswig-Holstein, repräsentative Befragungen aller Pflegekräfte sind gelaufen oder geplant in Niedersachsen, Hamburg, Mecklenburg-Vorpommern. Im Ergebnis jeweils mit einem deutlichen Mehrheitsentscheid für eine Pflegekammer. Bremen war mal Vorreiter in der Weiterentwicklung des Pflegeberufs – wir sollten uns nicht bei einer so weitreichenden Weichenstellung für die Pflege abhängen lassen.
Dem ist nur noch folgendes hinzuzufügen:
Eine Pflegekammer zu errichten wäre auf Landesebene möglich und verfassungsrechtlich unbedenklich. Sie würde die Gesamtinteressen der Pflegeberufe bündeln und der Pflege EINE Stimme geben. Sie würde Pflegequalität (mit)definieren und endlich den größten Gesundheitsberuf in Bremen hörbar machen. Ich bin der Überzeugung, dass damit nicht zuletzt auch die Patientenorientierung der Gesundheitsversorgung insgesamt erhöht wird.
1Die Zahl der Pflegefachkräfte in Bremen ist unbekannt, weil diese Zahl nicht erfasst wird. Es bleibt ein Geheimnis, wie damit eine pflegerische Versorgungsplanung aussehen soll. Das wäre z.B. eine Aufgabe einer Pflegekammer!